(ip/RVR) Der Bundesgerichtshof befasste sich kürzlich mit der Problematik der Vollstreckung gegen suizidgefährdeten Schuldner.

Seit Januar 2003 ist die Zwangsvollstreckung des Hof- und Gebäudegrundstücks der Schuldnerin angeordnet. Das Gebäude wird von er suizidgefährdeten Mutter der Schuldnerin bewohnt. Wegen der Gefahr der Selbsttötung hat zunächst das Vollstreckungsgericht das Verfahren einstweilen eingestellt, so dass der erste Versteigerungstermin nicht zum Zuschlag führte. Auf zwei weiteren Versteigerungsterminen wurde zwar jeweils dem Meistbietenden der Zuschlag erteilt. Das hatte jedoch im Beschwerdeverfahren wegen akuter Suizidgefahr der Mutter keinen Bestand. Das Verfahren wurde wiederum einstweilen eingestellt.

Der Aufforderung zu einer ambulanten Behandlung wegen der psychischen Situation kam die Mutter nicht nach. Demzufolge stellte das Berufungsgericht mit Beschluss vom 21. Juli 2008 das Verfahren nur noch für die Dauer von drei Monaten unter der Auflage ein, die Schuldnerin möge binnen eines Monats die Stellung eines Antrages bei dem Vormundschaftsgericht mit dem Ziel der Bestellung eines Betreuers für ihre Mutter nachweisen. Dem kam die Schuldnerin nicht nach, so dass das Vollstreckungsgericht im September 2008 die Fortsetzung des Verfahrens anordnete. Auf den darauf von der Schuldnerin gestellten Antrag bestellte das Vormundschaftsgericht Ende März einen Betreuer.

Das Vollstreckungsgericht hat daraufhin einen neuen Versteigerungstermin auf den 2. Oktober 2009 anberaumt. Die Terminbestimmung stellte es dem Betreuer zu. Darüber hinaus schaltete es das Vormundschaftsgericht unter Schilderung der Problematik ein, wobei es darauf hinwies, dass ein Zuschlag nur erteilt werden könne, wenn die Mutter untergebracht oder dies von dem Vormundschaftsgericht abgelehnt werde.

Das Vormundschaftsgericht lehnte die Unterbringung der Mutter mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für eine Unterbringung lägen – derzeit – nicht vor. Am 20. Oktober 2009 beantragte die Schuldnerin erneut, den Zuschlag zu versagen und das Verfahren einstweilen einzustellen.

In dem Verkündungstermin erteilte das Vollstreckungsgericht unter Zurückweisung des Vollstreckungsschutzantrages dem Meistbietenden den Zuschlag. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin blieb erfolglos. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihre Anträge weiter.

Der Bundesgerichtshof beschloss, dass die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückweisung an das Beschwerdegericht führt.

Seinen Beschluss begründete der BGH unter anderem damit, dass es für eine abschließende Entscheidung noch Feststellungen unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit bedarf.

Ist davon auszugehen, dass die Lebensgefahr schon deshalb besteht, weil der Schuldner oder ein naher Angehöriger den Eigentumsverlust befürchtet, ist stets eine Abwägung der in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen Interessen des Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 GG) mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers geboten. Unterbleibt die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens wegen der Annahme einer Suizidgefahr, wird in das Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) eingegriffen. „Vor diesem Hintergrund ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann.“ Die Vollstreckungsorgane sind ggf. gehalten, bei den zuständigen Behörden eine Unterbringung des Schuldners oder bei dem Vormundschaftsgericht eine Betreuung anzuregen und dabei darauf hinzuweisen, dass die Vollstreckung fortzusetzen sein wird, „wenn die für den Lebensschutz primär zuständigen Behörden und Vormundschaftsgerichte Maßnahmen zum Schutze des Lebens des Schuldners nicht für notwendig erachten.“ Wird danach eine Unterbringung zum Schutze des Lebens des Schuldners nicht für erforderlich gehalten und wird diese Entscheidung bestandskräftig, wird es im Regelfall gestattet, die Zwangsvollstreckung fortzusetzen. Es ist jedoch zu beachten, dass entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ein solcher Regelfall hier nicht vorliegt.

Zwar lehnte das Vormundschaftsgericht eine Unterbringung der Mutter der Schuldnerin ab. Es verneinte jedoch die akute Gefahr eines Suizides für den Fall des endgültigen Eigentumsverlustes nicht, sondern stellte darauf ab, dass „gegenwärtig“ eine solche Gefahr nicht vorliege. Nach Auffassung des Vormundschaftsgerichts besteht keine akute Suizidgefahr, solange kein endgültiger Eigentumsverlust eintritt. Und ohne eine solche Gefahr trifft dieses Gericht keine sichernden Maßnahmen, was wiederum zur Folge hätte, dass der Zuschlag nicht aufrecht erhalten werden dürfte.

Den Ausweg aus dieser Blockadesituation sieht der Senat im Folgenden: Die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts hindert den Umstand nicht, den Zuschlag zu bestätigen, sofern der drohenden Suizidgefahr effektiv durch flankierende Maßnahmen Rechnung getragen wird. Das kann dadurch geschehen, dass das Vollstreckungsgericht die bestätigende Entscheidung zunächst nur dem Vormundschaftsgericht zustellt, die Herausgabe des Beschlusses an die Verfahrensbeteiligten nach Ablauf einer bestimmten Frist ankündigt, sich des Eingangs dieser Ankündigung vergewissert, die Zustellung an die Verfahrensbeteiligten erst nach Fristablauf veranlasst und das Vormundschaftsgericht hiervon nochmals unter erneuter Hervorhebung der Dringlichkeit und der Bedeutung der Sache informiert. Daraufhin muss das Vormundschaftsgericht im Rahmen der primär ihm zugewiesenen Verantwortung für den Lebensschutz darüber befinden, ob nunmehr eine akute Selbstgefährdung vorliegt oder nicht. Im Falle der Bejahung einer solchen Gefahr, obliegt es ihm, die erforderlichen (Eil-)Maßnahmen zu treffen.

Das Beschwerdegericht hat indessen nicht hinreichend den auch im Zwangsvollstreckungsverfahren zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet: Es hat nicht geprüft, ob die Dauer einer Unterbringung außer Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck der Fortführung des Zwangsvollstreckungsverfahrens steht.

Somit wird auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin der Beschluss des Beschwerdegerichts aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts wird bis zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde der Schuldnerin gegen den Zuschlagsbeschluss einstweilen eingestellt.

Der Leitsatz fasst zusammen:
„Erachtet das Vormundschaftsgericht Maßnahmen zum Schutz des Lebens des Schuldners nicht für geboten, solange die Zwangsvollstreckung nicht durchgeführt wird, so setzt die Fortsetzung der Vollstreckung gegen den suizidgefährdeten Schuldner voraus, dass das Vollstreckungsgericht flankierende Maßnahmen ergreift, die ein rechtzeitiges Tätigwerden des Vormundschaftsgerichts zur Abwendung der Suizidgefahr ermöglichen.“

Das Originalurteil kann hier abgerufen werden:

BGH vom 15.07.2010, Az.: V ZB 1/10


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