(IP/RVR) Das LG Lüneburg hat entschieden, dass im Zwangsversteigerungsverfahren die Verkehrswertbeschwerde des Schuldners nicht allein deshalb unzulässig ist, weil der Schuldner dem Sachverständigen in erster Instanz den Zutritt zum Versteigerungsobjekt verwehrt hat.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Schuldner darum gebeten, den zunächst anberaumten Besichtigungstermin des Sachverständigen aufzuheben. Den daraufhin neu anberaumten Termin hatte er nicht wahrgenommen. Daher erstellte der Sachverständige nach Außenansicht das Gutachten und nahm wegen der fehlenden Innenbesichtigung einen Wertabschlag in Höhe von 30% vor. Das Gutachten wurde dem Schuldner zur Kenntnis überlassen. Dieser hat keinerlei Einwendungen erhoben. Anschließend wurde der Verkehrswert festgesetzt. Gegen den Festsetzungsbeschluss schließlich hat der Schuldner Beschwerde eingelegt. Seine Beschwerde hat er insbesondere auf die fehlende Innenbesichtigung und den daraufhin erfolgten Wertabschlag gestützt. Außerdem hat er mit der Beschwerde eine Innenbesichtigung angeboten.

Die Beschwerde ist zulässig. Ihr steht nicht entgegen, dass der Schuldner dem Sachverständigen bis zum Abschluss des Festsetzungsverfahrens in erster Instanz den Zutritt verweigert hat. Ein Rechtschutzbedürfnis ist dennoch gegeben. Auch unter Berufung auf Treu und Glauben ist das Beschwerdegericht nicht befugt, dem Schuldner den gesetzlich eröffneten Rechtsmittelweg abzuschneiden.

Etwas anderes kann nach der BGH-Rechtsprechung nur ausnahmsweise dann gelten, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Verlangen des Klägers bzw. Beschwerdeführers als nicht schutzwürdig erscheinen lassen. Diese Umstände müssen offensichtlich und von vornherein vorliegen. Nach Ansicht des LG Lüneburg ist dies hier nicht der Fall.

Der Schuldner ist mit seinem Beschwerdevorbringen auch nicht präkludiert. Das Gericht ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht gem. Art. 103 Abs. 1 GG dazu verpflichtet, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Angebot des Schuldners, nun doch eine Innenbesichtigung zu ermöglichen, steht einem neuen Beweisangebot gleich. Die Nichtberücksichtigung eines solchen als erheblich angesehen Beweisangebots würde gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen.

Insbesondere bestimmt § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO ausdrücklich, dass die Beschwerde auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden kann. Über § 96 ZVG findet diese Vorschrift auch im Zwangsversteigerungsverfahren Anwendung, da die §3 97 bis 104 ZVG keine abweichende Sonderregelung beinhalten.

Der neue Schuldnervortrag ist unabhängig vom Zeitpunkt der Möglichkeit des erstmaligen Vorbringens zu berücksichtigen. Auch eine einschränkende Auslegung des § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO dahingehend, dass vorsätzlich zurückgehaltene Beweismittel ausscheiden, ist nicht möglich.

LG Lüneburg vom 16.07.2012, Az. 4 T 12/12

 

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