Einwurf in Briefschlitz im Mehrparteienhaus
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(ip/RVR) Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte kürzlich über die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO zu entscheiden.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Provisionen für die Akquisition von Aufträgen. Sie erwirkte gegen die Beklagte einen Mahnbescheid über ihre Forderungen, der dieser unter der Anschrift B. Straße 8 in F. zugestellt wurde. Nachdem die Beklagte keinen Widerspruch eingelegt hatte, beantragte die Klägerin einen Vollstreckungsbescheid, derantragsgemäß erlassen und nach Angabe der im Aktenausdruck gemäß § 696Abs. 2 Satz 1 ZPO wiedergegebenen Zustellungsurkunde am 7. September 2007 unter derselben Anschrift durch Einlegung des Schriftstücks "in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung" zugestellt wurde. In der Außentür des Hauses B. Straße 8 befand sich ein einzelner Briefschlitz, in den die Post für alle drei Parteien, die im Haus eine Wohnung bzw. Geschäftsräume hatten, eingeworfen wurde. Die Beklagte macht geltend, sie habe am 3. September 2007 ihre Geschäftsräume dort aufgegeben. Sie ist der Auffassung, der Vollstreckungsbescheid sei aus diesem Grund nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.
Nachdem die Beklagte Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid erhoben hatte, hat das Landgericht diesen aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat den Vollstreckungsbescheid aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Der BGH entschied, dass die zulässige Revision begründet ist. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Ob der Vollstreckungsbescheid der Beklagten am 7. September 2007 nach § 180 Satz 1 ZPO wirksam zugestellt wurde, hängt von noch nachzuholenden Feststellungen dazu ab, ob die Beklagte an dem maßgeblichen Tag im Hause B. Straße 8 noch Geschäftsräume unterhielt. Das Berufungsgericht durfte nicht offen lassen, ob die Beklagte vor dem 7. September 2007 objektiv ihre Geschäftsräume an einen anderen Ort verlegt hatte.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung setzt die Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO voraus, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird. „Entgegen der Ansicht der Vorinstanz genügt der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein, dieser unterhalte unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume, für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht.“ Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der §§ 178 bis 181 ZPO. „Eine erweiternde Auslegung dieser Bestimmungen dahingehend, dass der vom Empfänger zurechenbar gesetzte Rechtsschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums genügt, scheidet aus.“
Bezüglich der Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung vom 7. September 2007 weist der BGH für das weitere Verfahren auf Folgendes hin: Ein Geschäftslokal ist vorhanden, wenn ein dafür bestimmter Raum geschäftlicher Tätigkeit dient und der Empfänger dort erreichbar ist. „Hat der Adressat die Nutzung der Räume aufgegeben, ist eine Zustellung an ihn dort nicht mehr möglich.“ Bei der Feststellung, ob die Beklagte am 7. September 2007 im Hause B. Straße 8 noch Geschäftsräume unterhielt, so der BGH, wird das Berufungsgericht insbesondere einerseits der behaupteten Anmeldung der Sitzverlegung gegenüber dem Handelsregister nachzugehen und andererseits zu berücksichtigen haben, dass die Zustellungsurkunde, deren Inhalt durch den Aktenausdruck des Mahnverfahrens nachgewiesen ist (§ 696 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO), zwar keinen Beweis gemäß § 418 Abs. 1 ZPO für die Existenz von Geschäftsräumen an dem Zustellungsort erbringt, jedoch ein Indiz hierfür darstellt.
Die Wirksamkeit der Zustellung scheiterte nicht daran, dass der Vollstreckungsbescheid in den in der Außentür des Hauses B. Straße 8 befindlichen Briefschlitz eingeworfen wurde. Der gemeinsame Briefschlitz in der Haustür eines Mehrparteienhauses ist jedenfalls dann eine "ähnliche Vorrichtung" im Sinne des § 180 Satz 1 ZPO, die eine Zustellung ermöglicht, wenn, wie hier, in dem betreffenden Gebäude lediglich drei Parteien wohnen beziehungsweise Geschäftsräume unterhalten, der Zustellungsadressat gewöhnlich seine Post durch diesen Einwurf erhält und eine eindeutige Zuordnung zum Adressaten möglich ist.
Die Sache ist noch nicht reif zur Endentscheidung, weil noch weitere Feststellungen notwendig sind. Aus diesem Grund ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Leitsatz fasst zusammen:
„a) Für die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO genügt, vorbehaltlich dolosen Verhaltens, nicht, dass der Adressat in zurechenbarer Weise den Rechtsschein geschaffen hat, unter der Zustellanschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume zu nutzen. Insbesondere reicht nicht, dass er nach Aufgabe der Wohnung oder der Geschäftsräume ein Schild mit seinem Namen an dem Briefeinwurf belässt.
b) Der nur einem überschaubaren Personenkreis (hier: drei Parteien) zugängliche Briefschlitz in einem Mehrparteienhaus ist auch dann für eine Ersatzzustellung gemäß § 180Satz 1 ZPO geeignet, wenn die Sendungen nicht in ein geschlossenes Behältnis fallen, sondern auf den Boden des Hausflurs, sofern der Adressat seine Post typischerweise auf diesem Weg erhält und eine eindeutige Zuordnung des Einwurfschlitzes zum Empfänger möglich ist.”
BGH vom 16.06.2011, Az.n: III ZR 342/09
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