(ip/RVR) Nach Meinung des BGH sei ein weiteres Insolvenzverfahren grundsätzlich möglich, wenn der Insolvenzverwalter im Erstverfahren die selbstständige Tätigkeit des Schuldners freigebe und ein Neugläubiger ein zweites Verfahren beantrage.

Der Schuldner war als selbstständiger Steuerberater tätig. Im April 2007 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Juli 2008 erklärte der eingesetzte Insolvenzverwalter, die selbstständige Tätigkeit des Schuldners gehöre nicht länger zur Masse (§ 35 Abs. 2 InsO). Der Schuldner nahm seine Tätigkeit wieder auf. 2010 wurde von einer Neugläubigerin die Eröffnung eines weiteren Insolvenzverfahrens über das freigegebene Vermögen des Schuldners beantragt. Insolvenz- und Beschwerdegericht wiesen den Antrag als unzulässig wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ab ab. Der BGH hingegen sah den Antrag als zulässig an und verwies die Sache zurück an das Insolvenzgericht.

Das Beschwerdegericht meinte, die Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens hinge davon ab, dass sich die freigegebene Tätigkeit wider Erwarten als wirtschaftlich werthaltig und verwertbar erweise. Gerade die Freigabe lasse aber den Schluss zu, die selbstständige Tätigkeit könne nicht wirtschaftlich fortgesetzt werden und Einkünfte könnten nicht erzielt werden.

Der BGH betont in seiner Entscheidung zwar, dass Neugläubiger grundsätzlich kein rechtlich geschütztes Interesse an einem Zweitverfahren hätten, da etwaige Einkünfte als Neuerwerb in die Masse fielen. Dies gelte jedoch nicht im Sonderfall des § 35 Abs. 2 InsO. Die Einkünfte, welche der Schuldner im Rahmen der freigegebenen Tätigkeit erziele, stünden den Neugläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung. Bestünde eine Haftungsmasse, so sei auch ein gesondertes zweites Insolvenzverfahren, das nur zur Befriedigung der Neugläubiger dient, rechtlich möglich.

Systematische Bedenken gegen ein Zweitverfahren bestünden nicht. Insbesondere § 89 Abs. 1 InsO stehe nicht entgegen. Zwar stelle ein freigegebener Vermögensgegenstand „sonstiges Vermögen“ im Sinne der genannten Vorschrift dar, die Eröffnung des Zweitverfahrens sei jedoch keine Zwangsvollstreckung zugunsten einzelner Insolvenzgläubiger. Die Neugläubiger seien keine Insolvenzgläubiger im ersten Insolvenzverfahren, da deren Forderungen im Zeitpunkt der Eröffnung noch nicht bestanden.

Auch der Grundgedanke der Insolvenzordnung, dass über das Vermögen einer Person nur ein Verfahren eröffnet werden solle, gelte nicht ausnahmslos. So kenne das Gesetz Sonderinsolvenzverfahren über Vermögensmassen, die nicht allen Gläubigern gleichermaßen haften, etwa nach § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH entfalle das Rechtsschutzbedürfnis auch dann nicht, wenn der Gläubiger in seinem Antrag eine Befriedigungsaussicht nicht glaubhaft machen könne. „Das Rechtsschutzinteresse für einen Insolvenzantrag besteht unabhängig davon, ob der Gläubiger in dem Verfahren eine Befriedigung erlangen kann“ (Rz. 12 der Entscheidung).

BGH vom 09.06.2011, Az. IX ZB 175/10

 

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