(ip/pp) Um die befristete Wiedereinweisung eines Mieters in die bisherige Wohnung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit bei psychischer Erkrankung ging es in einem aktuellen Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Niedersachsen. Der 1967 geborene Antragsteller war Mieter einer Wohnung im Haus der Beigeladenen. In diesem Haus wohnt auch die fast 78-jährige Mutter des Antragstellers. Dieser litt unter einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung - einer chronischen psychischen Erkrankung - und befand sich deswegen in ambulanter Behandlung. Nachdem sich andere Hausbewohner bei der Beigeladenen über das Verhalten des Antragstellers beschwert hatten und Schlichtungsversuche erfolglos geblieben waren, kündigte die Beigeladene dem Antragsteller das Mietverhältnis fristlos. Einer Räumungsklage der Beigeladenen gab das Amtsgericht mit rechtskräftig gewordenem Versäumnisurteil statt. Aufgrund eines vom Antragsteller angestrengten Vollstreckungsschutzverfahrens wurde die Vollstreckung aus dem rechtskräftigen Versäumnisurteil vorübergehend eingestellt. Das Amtsgericht hatte eine Vollstreckungsabwehrklage des Antragstellers abgewiesen. Dagegen hat dieser Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Nachdem der zuständige Gerichtsvollzieher im Auftrag der Beigeladenen die Räumung der Wohnung des Antragstellers angekündigt hatte, hat der Kläger beim Amtsgericht einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 765 a Abs. 3 ZPO gestellt. Über diesen ist bisher nicht entschieden worden. Darauf hat der Antragsteller bei der Antragsgegnerin beantragt, ihn für den Fall einer Zwangsräumung in seine bisherige Wohnung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit wieder einzuweisen.

Daraufhin teilte ihm die Antragsgegnerin mit, dass diesem Wunsch nicht entsprochen werden könne, da der Stadt (Fachdienst Wohnraumfragen) Unterkünfte in ausreichender Größe und Ausstattung zur Verfügung stünden. Als Alternative zu einer Zuweisung in eine solche Unterkunft stehe es dem Antragsteller aber auch frei, sich auf dem privaten Wohnungsmarkt nach einer Mietwohnung umzusehen. Hierzu fügte die Antragsgegnerin ihrem Schreiben eine Liste mit verschiedenen Wohnungsgesellschaften und Privatvermietern bei. Zusätzlich bot sie ihm eine frei gewordene Privatwohnung an. Damit war der Antragsteller aber nicht einverstanden, sondern rief das Verwaltungsgericht an. Neben einer Verpflichtungsklage hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Wiedereinweisung in die bisherige Wohnung im Fall der Obdachlosigkeit beantragt. Außerdem hat er beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, auf die Beigeladene dahin einzuwirken, dass diese für die Aufrechterhaltung des Hausfriedens im bewussten Haus sorgt, indem sie insbesondere die weiteren Beigeladenen veranlasst, sich gegenüber dem Antragsteller freundschaftlich, distanziert und frei von Drohungen, Aggressivität oder Gewalttätigkeit zu verhalten.

Das Verwaltungsgericht lehnte die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach Durchführung eines Erörterungstermins ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde, mit der der Antragsteller sein Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt, hatte teilweise Erfolg. Ein Anordnungsgrund ergab sich daraus, dass dem Antragsteller die Zwangsräumung seiner bisherigen Wohnung drohte.

Das OVG Niedersachsen entschied für die befristete Wiedereinweisung: „Nach derzeitigem Erkenntnisstand hat er aufgrund der besonderen Umstände des gegebenen Einzelfalls auch einen Anspruch auf vorläufige Wiedereinweisung für den Zeitraum …, weil anderenfalls sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzt werden würde. Dahinter müssen die aus dem Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Interessen der Beigeladenen … als Vermieterin der Wohnung jedenfalls vorübergehend zurücktreten. Die weitergehende Beschwerde des Antragstellers, die auf eine zeitlich unbeschränkte Wiedereinweisung abzielt, hat dagegen keinen Erfolg.“

„Es ist allgemein anerkannt, dass eine drohende (unfreiwillige) Obdachlosigkeit eine Störung der öffentlichen Sicherheit darstellt.“ „Geht es - wie hier - darum, dass der Mieter zur Abwendung der Obdachlosigkeit wieder in seine bisherige Wohnung eingewiesen werden will, kommt als Anspruchsgrundlage die polizeiliche Generalklausel des § 11 in Verbindung mit § 2 Nr. 1 a Nds. SOG in Betracht. An die Zulässigkeit der Wiedereinweisung sind aber wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Eigentumsrecht des Hauseigentümers hohe Anforderungen zu stellen“. „Ihm dürfen keine Aufgaben überbürdet werden, die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen.” “Sofern - wie hier - die Obdachlosigkeit durch die Kündigung des Vermieters und eine bevorstehende Räumung droht, ist der Vermieter nicht im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinne für die Obdachlosigkeit verantwortlich. Unmittelbare Ursache der Obdachlosigkeit kann in solchen Fällen etwa der Mangel einer geeigneten anderen Unterkunft oder die subjektive Unmöglichkeit des Mieters sein, eine solche zu finden.

„In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Wertentscheidungen des Grundgesetzes, vor allem das Grundrecht des Obdachlosen auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu berücksichtigen.“

„Hiervon ausgehend besteht nach der vorliegend nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die Gefahr, dass der Antragsteller im Falle eines Verlustes seiner bisherigen Wohnung Schaden an seiner Gesundheit nehmen könnte. Eine endgültige Entscheidung darüber muss aber, gegebenenfalls nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Da eine derartige Zwangsbelegung einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht der Beigeladenen … darstellt, hat der Senat die Wiedereinweisung auf zwei Monate befristet. Dazu im Einzelnen: Dem Antragsteller droht Obdachlosigkeit, da seine Wohnung … durch den Gerichtsvollzieher zwangsweise geräumt werden soll. Wegen der Schuldunabhängigkeit der Verantwortlichkeit kommt es nicht darauf an, ob ihm hieraus ein Vorwurf gemacht werden kann oder nicht. Eine gegen ihn gerichtete Verfügung, sich selbst anderweitig Obdach zu verschaffen, dürfte jedoch nicht erfolgversprechend im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG sein. Denn der Senat hat nach dem bisherigen Akteninhalt den Eindruck, dass der Antragsteller aus psychischen Gründen nicht in der Lage ist, sich rechtzeitig um eine neue Wohnung zu kümmern und eine solche auch zu finden. Da er voraussichtlich nicht selbst zur Vermeidung der Obdachlosigkeit herangezogen werden kann, ist es grundsätzlich Aufgabe der Antragsgegnerin, dieser Gefahr mit eigenen Mitteln entgegenzuwirken“.


„Sie muss sich deshalb zunächst um eine anderweitige Unterbringung des Antragstellers bemühen, bevor sie die Beigeladene … in Anspruch nimmt.”“

OVG Niedersachsen, Az.: 11 ME 316/09